Es ist ein milder Herbsttag. Ausgelassen feiert das österreichische Kaiserhaus. Gelegentlich wird verstohlen in die Kamera geblickt. Unter den Anwesenden: Kaiser Franz Josef, Karl, der spätere letzte Kaiser Österreichs, und Zita, dessen Gattin. Es sind Aufnahmen aus dem Jahr 1911, aus besseren Tagen des Hauses Habsburg. Seit 15 Jahren hat der Film auch in Österreich seinen unaufhörlichen Siegeszug angetreten. Doch während die bewegten Bilder sich zum Massenmedium des 20. Jahrhunderts emporschwingen, wird die Habsburgerdynastie bald nur mehr in Geschichtsbüchern präsent sein – und auf eben jenen raren Bildaufnahmen, die heute als wertvolle Zeitdokumente im Besitz des Filmarchivs sind. Mit rund 500 Dokumenten bildet das Archiv die größte Sammlung bewegter Bilder aus der Zeit der Donaumonarchie: von 1912 – jenes Jahr, als die Brüder Lumière erstmals ihre Aufnahmen in Wien präsentierten – bis 1918, dem Ende der Habsburger-Monarchie. Dass Zuseher dabei mitunter auch Frivoles (parallel zur Schau wird noch bis 19. Oktober eine Auswahl früher Wiener Erotikfilme auf großer Leinwand gezeigt) zu sehen bekommen, liegt an der Entstehungsgeschichte der österreichischen Filmindustrie, die 1906 mit den „Herrenfilmabenden“ der Wiener Produktionsfirma Saturnfilm ihren Anfang nahm. Bis dahin wurde der heimische Markt von französischen Filmfirmen wie Pathè, Gaumont oder Mélieès dominiert.

Zur Frühgeschichte des Kinos

Die österreichische Filmgeschichte mag zwar schlüpfrig begonnen haben, doch schon bald erobern auch Literaturverfilmungen die Kinoleinwand. Wurde diese Leinwand in den ersten Jahren im Rahmen des so genannten Wanderkinos noch von Schaustellern quer durch die Monarchie transportiert, so setzte bald schon eine Institutionalisierung ein. Mit ihr entstehen erste Programmkinos wie etwas das Geni Kino in St. Pölten oder das berühmte Wiener Kino Klein, der Reichsverband der Kinematographen und Filmfirmen.

Eine der ersten Firmen, die sich dem Kino als Kunstform verschrieben hatte – und den Film damit aus der Ecke der Attraktionen holen wollte – war die Wiener Kunstfilm. Waren die Mittel in den Anfangsjahren noch begrenzt, erlebten die Produktionsfirmen mit wachsendem Interesse des Kaiserhauses am Film als Propagandamittel einen enormen Aufschwung. Das machte die österreichische Filmindustrie zu einem der großen Kriegsgewinnler, so Ernst Kieninger, Leiter des Filmarchivs, der die Ausstellung zum frühen Kino gemeinsam mit Nikolaus Wostry und Martina Zerovnik kuratierte.

Das Material, das nicht nur der österreichischen Bevölkerung in den Wochenschauen, sondern zwecks Einschüchterung und Machtdemonstration auch im Ausland gezeigt wurde, war dabei von enormer Qualität. „Es ist pervers mit welcher Schönheit die österreichischen Frontabschnitte wiedergegeben werden“, schwärmt Wostry. Was die Technik des frühen Films angeht ist Wostry Experte, seit Jahren betreut er als Leiter der Sammlung Restaurierung und Konservierung. Damit die alten Filme in jener Qualität über die Leinwand laufen können, ist einiges Geld und Arbeit nötig. Gerade die frühen Filme wurden ob der wenigen Kopien physisch „zu Tode“ gespielt. Zudem war Filmmaterial wertvoll und wurde oftmals wiederverwertet. Sammlungen wie die von Ignaz Reinthaler, einem ehemaligen Filmverleiher und Produzenten am Balkan, der im Gegensatz zu vielen anderen im Filmgeschäft seine Filme aufgehoben und mitgenommen hat, sind ein Glücksfall. Die Sammlung befindet sich ebenso wie jene von Louis Geni, dem österreichischen Pionier des Wanderkinos im Haus. Als „Wald der Projektionen“ laden sie im zweiten Stock des Metro Kinos dazu ein lustvoll zwischen den Bildern umher zu wandeln und sich gemäß dem Motto der Ausstellung der Schaulust hinzugeben.

Viele der Arbeiten, die der Besucher zu sehen bekommt, wurden nach ihrer Restaurierung noch nie gezeigt. Und so werden die Zuschauer von handkolorierten Filmen mit jeder Menge Trickeinlagen bis hin zu dokumentarischem Material von Volk und Kaiserhaus in den Bann gezogen. Neugierig blickt ein Junge in Sarajevo in die Kamera. Wenig später läutet ein Attentat den endgültigen Untergang einer Zeit ein, die wir heute nur mehr von Fotografien und eben jenen wenigen erhaltenen Filmen kennen. Vorausgesetzt wir betrachten sie und das sollte man dieser Tage im Metro Kino unbedingt tun.

Archiv der Schaulust
Eine Ausstellung zur Frühgeschichte des Kinos 1896 bis 1918
Noch bis 31. Juli 2017
Metro Kinokulturhaus
Johannesgasse 4
1010 Wien
Öffnungszeiten: täglich 15.00 bis 21.00 Uhr
http://filmarchiv.at

Sex in Wien
Eine Sub-Geschichte des österreichischen Kinos 1906-1933
noch bis 19. Oktober 2016
(zusätzlich bietet das Programm „Porn Sensations“ Highlights aus der Welt des internationalen kunstsinnigen Erotik-Kinos)

Geschrieben von Sandra Schäfer